
Wie verhält sich ein Mensch mit Identitätsstörungen in einer Beziehung?
Ein Mensch mit Identitätsstörungen (z. B. im Rahmen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, einer dissoziativen Identitätsstörung oder einer tief verwurzelten Identitätskrise) kann in einer Beziehung oft mit starken inneren Konflikten, Unsicherheiten und emotionaler Instabilität kämpfen. Diese Schwierigkeiten wirken sich nicht nur auf das eigene Wohlbefinden aus, sondern beeinflussen auch den Partner oder die Partnerin und die gesamte Beziehungsdynamik.
1. Starke Identitätsunsicherheiten und Selbstwahrnehmungsschwankungen
Menschen mit Identitätsstörungen haben oft Schwierigkeiten, eine stabile und konstante Vorstellung von sich selbst zu bewahren. Das zeigt sich in verschiedenen Aspekten der Beziehung:
- Rollenschwankungen: Die Person kann sich in einem Moment als unabhängig und stark fühlen und im nächsten als vollkommen hilflos und auf den Partner angewiesen.
- Veränderungen im Verhalten: Sie kann je nach emotionalem Zustand und Selbstwahrnehmung ganz unterschiedlich reagieren – mal anhänglich, mal abweisend.
- Unklarheit über eigene Werte und Wünsche: Oft sind sich Betroffene nicht sicher, was sie im Leben oder in einer Beziehung wirklich wollen. Das kann zu plötzlichen Meinungswechseln oder unvorhersehbaren Entscheidungen führen.
2. Extreme Beziehungsdynamiken – Zwischen Nähe und Distanz
Die Angst vor dem Verlassenwerden und das Bedürfnis nach Nähe stehen oft in starkem Widerspruch zueinander. Typische Verhaltensweisen sind:
- Idealisierung vs. Abwertung (Schwarz-Weiß-Denken): Zu Beginn einer Beziehung kann der Partner als perfekt und idealisiert wahrgenommen werden. Doch sobald Unsicherheiten oder Konflikte entstehen, kann sich diese Wahrnehmung abrupt ins Gegenteil verkehren – der Partner wird plötzlich als verletzend, kalt oder feindlich empfunden.
- Klammern und übermäßige Abhängigkeit: Die betroffene Person kann sehr stark an ihrem Partner hängen, weil sie ihn als Teil ihrer eigenen Identität betrachtet. Dadurch kann sich der Partner manchmal emotional erdrückt fühlen.
- Gleichzeitig plötzlicher Rückzug: Trotz des starken Bedürfnisses nach Nähe kann es vorkommen, dass die Person plötzlich das Gefühl hat, eingeengt zu sein, und sich distanziert. Das kann für den Partner sehr verwirrend sein.
3. Emotionale Instabilität und Impulsivität
Menschen mit Identitätsstörungen erleben oft extreme Stimmungsschwankungen, die sich auf die Beziehung auswirken:
- Plötzliche Wutausbrüche oder emotionale Zusammenbrüche, manchmal wegen scheinbar kleiner Anlässe.
- Starke Schuldgefühle nach Konflikten, die von übermäßigen Entschuldigungen bis hin zu Selbsthass reichen können.
- Rückzug nach Streitigkeiten: Nach einem emotionalen Ausbruch kann sich die betroffene Person für einige Zeit abkapseln und sich emotional nicht erreichbar fühlen.
Impulsives Verhalten kann ebenfalls ein Problem sein, z. B.:
- Plötzliche Entscheidungen, die die Beziehung belasten (z. B. eine Trennung im Affekt, unüberlegte Äußerungen oder riskantes Verhalten).
- Selbstverletzendes Verhalten oder destruktive Mechanismen zur Emotionsregulation, wie exzessives Alkoholtrinken oder ungesunde Bewältigungsstrategien.
4. Dissoziative Symptome (bei dissoziativer Identitätsstörung, DIS)
Falls eine dissoziative Identitätsstörung (früher "multiple Persönlichkeitsstörung" genannt) vorliegt, kann sich das noch extremer äußern:
- Unterschiedliche Persönlichkeitsanteile: Die betroffene Person kann je nach Identitätszustand unterschiedlich auf ihren Partner reagieren – mal liebevoll, mal distanziert, mal kindlich, mal ernst.
- Gedächtnislücken: Es kann vorkommen, dass sich die Person nicht an gemeinsame Erlebnisse oder Gespräche erinnert, was zu Missverständnissen führen kann.
- Unterschiedliche Bedürfnisse je nach Persönlichkeit: In einem Moment kann sie sich Nähe wünschen, im nächsten extreme Distanz brauchen.
5. Schwierigkeiten mit Vertrauen und Eifersucht
- Starkes Misstrauen gegenüber dem Partner: Aufgrund von Selbstzweifeln oder früheren Traumata fällt es Betroffenen oft schwer, anderen Menschen vollständig zu vertrauen.
- Übermäßige Eifersucht: Manche reagieren extrem empfindlich auf das Verhalten des Partners, weil sie schnell das Gefühl bekommen, nicht genug geliebt oder ersetzt zu werden.
- Überinterpretation von Zeichen: Ein nicht zurückgeschriebenes „Gute Nacht“ kann als Ablehnung empfunden werden, während eine kurze Verzögerung bei einer Antwort als Zeichen von Desinteresse gedeutet wird.
6. Welche Herausforderungen gibt es für den Partner?
Wer mit einer Person mit Identitätsstörungen in einer Beziehung ist, kann sich oft überfordert, verwirrt oder emotional erschöpft fühlen. Häufige Herausforderungen sind:
- Das ständige Auf und Ab der Emotionen mitzutragen
- Mit plötzlichen Verhaltensänderungen umzugehen
- Eigene Bedürfnisse zurückzustellen, um den anderen nicht zu verletzen
- Angst, den anderen unabsichtlich zu triggern
7. Was kann in der Beziehung helfen?
Für den betroffenen Partner:
- Therapie in Betracht ziehen: Eine professionelle psychotherapeutische Unterstützung (z. B. Dialektisch-Behaviorale Therapie für Borderline oder Traumatherapie bei DIS) kann helfen, mit den Herausforderungen besser umzugehen.
- Achtsamkeit und Selbstreflexion üben: Ein besseres Verständnis der eigenen Muster kann dabei helfen, Konflikte zu reduzieren.
- Kommunikation und Vertrauen aufbauen: Es kann helfen, offen über Unsicherheiten zu sprechen, anstatt den Partner für negative Emotionen verantwortlich zu machen.
Für den nicht-betroffenen Partner:
- Geduld und Verständnis zeigen: Es ist wichtig, emotionale Schwankungen nicht persönlich zu nehmen.
- Eigene Grenzen setzen: Auch wenn Verständnis wichtig ist, sollte man sich nicht selbst aufgeben. Jeder Partner hat das Recht auf seine eigenen Bedürfnisse und Freiräume.
- Sich informieren: Wer über Identitätsstörungen Bescheid weiß, kann besser nachvollziehen, warum der Partner so handelt, und wird sich weniger verletzt fühlen.
- Professionelle Unterstützung suchen: Falls die Beziehung zu belastend wird, kann eine Paartherapie oder eine Beratung für Angehörige helfen.
Fazit
Eine Beziehung mit einem Menschen mit Identitätsstörungen kann herausfordernd, aber auch bereichernd sein. Sie erfordert viel Geduld, Verständnis und stabile Kommunikation. Wichtig ist, dass beide Partner an ihrer eigenen emotionalen Gesundheit arbeiten und sich gegenseitig respektieren. Mit der richtigen Unterstützung kann eine liebevolle und stabile Beziehung trotz dieser Herausforderungen möglich sein.