
Identitätsstörungen – Eine ausführliche Erklärung
Definition:
Identitätsstörungen sind psychische Störungen, bei denen eine Person Schwierigkeiten hat, ein stabiles und kohärentes Selbstbild aufrechtzuerhalten. Das bedeutet, dass Betroffene unsicher darüber sind, wer sie sind, welche Werte sie vertreten, welche langfristigen Ziele sie verfolgen oder welche Rolle sie in sozialen und persönlichen Beziehungen spielen.
1. Symptome und Merkmale von Identitätsstörungen
Die Symptome können sich unterschiedlich äußern, aber zentrale Merkmale sind:
Instabile Selbstwahrnehmung:
- Unsicherheit über persönliche Vorlieben, Werte, Lebensziele oder den eigenen Charakter.
- Gefühl, verschiedene "Ichs" zu haben, die sich je nach Situation oder Umgebung verändern.
Starke emotionale Schwankungen:
- Menschen mit Identitätsstörungen erleben oft intensive Stimmungsschwankungen.
- Diese können von Euphorie bis hin zu tiefer Verzweiflung reichen.
Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen:
- Schwierigkeiten, stabile Freundschaften oder Partnerschaften aufrechtzuerhalten.
- Angst vor Verlassenwerden oder extreme Abhängigkeit von anderen.
Selbstzerstörerisches Verhalten:
- Selbstverletzendes Verhalten oder impulsive Handlungen, wie riskante Sexualität, Drogenmissbrauch oder unüberlegte finanzielle Entscheidungen.
- Dieses Verhalten dient oft als Versuch, innere Leere oder Verwirrung zu kompensieren.
Derealisation und Depersonalisation:
- Gefühle der Entfremdung von sich selbst (Depersonalisation).
- Die Umwelt kann unwirklich erscheinen (Derealisation).
2. Ursachen von Identitätsstörungen
Die Entwicklung einer Identitätsstörung kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden:
a) Frühe Kindheitserfahrungen
- Traumatische Erlebnisse (z. B. Missbrauch, Vernachlässigung oder inkonsistente Erziehung).
- Fehlende stabile Bezugspersonen, die als Vorbilder für eine gesunde Identitätsbildung dienen.
b) Psychosoziale Faktoren
- Gesellschaftlicher Druck, sich an bestimmte Normen anzupassen.
- Starke Veränderungen im Leben (z. B. Migration, Scheidung der Eltern, Verlust eines geliebten Menschen).
c) Neurobiologische Faktoren
- Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass Menschen mit Identitätsstörungen oft eine veränderte Aktivität in den Bereichen des Gehirns aufweisen, die für Selbstwahrnehmung und emotionale Regulierung zuständig sind.
- Genetische Faktoren könnten ebenfalls eine Rolle spielen.
3. Formen von Identitätsstörungen
a) Identitätsstörungen als Teil anderer psychischer Erkrankungen
Identitätsprobleme treten oft im Rahmen anderer psychischer Störungen auf:
Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS):
- Besonders häufig mit Identitätsstörungen assoziiert.
- Betroffene haben oft ein stark fragmentiertes Selbstbild.
Dissoziative Identitätsstörung (DIS):
- Ehemals als multiple Persönlichkeitsstörung bekannt.
- Betroffene haben mehrere, voneinander getrennte Identitäten oder Persönlichkeitszustände.
Schizophrenie:
- Kann zu Identitätsverzerrungen führen, oft in Form von Wahnvorstellungen.
Depressionen und Angststörungen:
- Menschen mit schweren depressiven Episoden oder generalisierter Angststörung berichten oft über Identitätskrisen.
b) Identitätskrisen in der normalen Entwicklung
- Pubertät: Jugendliche durchlaufen eine natürliche Phase der Identitätssuche.
- Midlife-Crisis: Erwachsene erleben manchmal Unsicherheiten bezüglich ihrer Lebensentscheidungen.
- Identitätsdiffusion: Vorübergehende Identitätsprobleme in Phasen der Veränderung (z. B. Jobwechsel, Umzug in ein anderes Land).
4. Diagnostik und Behandlung
Diagnostik
- Klinische Interviews mit Psychologen oder Psychiatern.
- Standardisierte Fragebögen zur Identitätsentwicklung und Selbstwahrnehmung.
- Differentialdiagnostik zur Abgrenzung von anderen psychischen Störungen.
Behandlungsmöglichkeiten
Psychotherapie:
- Kognitive Verhaltenstherapie (CBT): Hilft, negative Denkmuster zu erkennen und zu verändern.
- Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT): Besonders wirksam bei Borderline-Persönlichkeitsstörung.
- Tiefenpsychologische Therapie: Untersucht frühe Kindheitserfahrungen und deren Einfluss auf die Identität.
Medikamentöse Therapie:
- Antidepressiva oder Stimmungsstabilisierer können unterstützend wirken.
Selbsthilfe und soziale Unterstützung:
- Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen.
- Achtsamkeitsübungen und kreative Ausdrucksformen (z. B. Tagebuch schreiben, Kunsttherapie).
5. Fazit
Identitätsstörungen sind komplexe psychische Probleme, die oft mit anderen psychischen Erkrankungen zusammenhängen. Sie können das tägliche Leben stark beeinträchtigen, sind aber durch gezielte Therapieansätze gut behandelbar. Die Stabilisierung des Selbstbildes, der Aufbau eines klaren Werte- und Zielsystems sowie die Stärkung der emotionalen Resilienz sind entscheidende Faktoren für eine erfolgreiche Bewältigung.