Beziehungen von Menschen mit schizoider Persönlichkeitsstörung und Menschen mit anderen psychischen Störungen

Schizoid_abstrakt

Menschen mit schizoider Persönlichkeitsstörung (SPD) wirken häufig emotionsarm, zurückgezogen und zeigen wenig Interesse an engen zwischenmenschlichen Kontakten. Dennoch können sie Beziehungen eingehen – oft auf unkonventionelle, aber stabile Weise. In Partnerschaften mit Menschen, die unter anderen psychischen Störungen leiden, ergeben sich besondere Herausforderungen, aber auch Chancen zur gegenseitigen Ergänzung.


Kommunikation und emotionale Ausdrucksformen

Ein zentrales Problem in solchen Beziehungen ist oft die unterschiedliche emotionale Ausdrucksfähigkeit:

  • Schizoide Menschen empfinden durchaus Emotionen, äußern sie aber selten oder auf ungewöhnliche Weise.

  • Partner*innen mit z. B. affektiven Störungen (Depression, Borderline, Bipolarität) benötigen häufig Rückversicherung, emotionale Resonanz und körperliche Zuwendung.

  • Ohne Kommunikation über diese Unterschiede entstehen schnell Missverständnisse, die als Ablehnung, Kälte oder Desinteresse fehlgedeutet werden.
     

Strategien zur Verbesserung der Kommunikation:

  • Aufbau nonverbaler Kommunikation (z. B. Rituale, kleine Gesten)

  • Einführung klarer Strukturen (z. B. „Check-ins“, geplante Gespräche)

  • Unterstützung durch therapeutische Gesprächsformate (z. B. systemische Paartherapie)

 

Potenzial zur Ergänzung und Stabilisierung

Trotz (oder gerade wegen) der Gegensätzlichkeit mancher Persönlichkeitsmuster können stabile, funktionale Beziehungen entstehen:

  • Schizoide Menschen bieten Stabilität, Unaufgeregtheit und ein geringes Bedürfnis nach Kontrolle, was für emotional instabile oder impulsive Partner*innen entlastend sein kann.

  • Umgekehrt können emotional offenere Partner*innen helfen, soziale und emotionale Fähigkeiten der schizoiden Person vorsichtig zu fördern – etwa durch sanfte Integration in soziale Kontexte.

  • In Beziehungen mit Zwangsstörungen oder autistischen Zügen kann die gemeinsame Vorliebe für Struktur, Klarheit und Distanz sogar förderlich sein.

 

Therapieansätze bei dyadischer Dynamik

  • Paartherapie: Häufig sinnvoll, um Erwartungen abzugleichen, Konfliktmuster zu erkennen und Kommunikationsformen zu etablieren, die beide Seiten respektieren.

  • Psychoedukation: Beide Partner*innen profitieren vom Wissen über die jeweilige Störung – besonders über typische Reaktionsmuster und deren Entstehung.

  • Selbstfürsorge: Beide sollten lernen, ihre eigenen Grenzen und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu vertreten – ohne Schuldzuweisungen.

 

Beziehungsdynamiken und Rollenbilder

In vielen solchen Beziehungen entwickeln sich unbewusst komplementäre Rollenmuster, z. B.:

  • „Versorger“ und „Rückzügler“ – ein Partner übernimmt Verantwortung, der andere zieht sich zurück.

  • „Therapeut“ und „Patient“ – problematisch, wenn sich eine dauerhafte Ungleichheit einstellt.

  • „Stabilität vs. Emotionalität“ – kann helfen, aber auch zur Erschöpfung führen, wenn kein Gleichgewicht erreicht wird.

Ein bewusster Umgang mit diesen Mustern ist essenziell, um Co-Abhängigkeiten oder einseitige Belastungen zu vermeiden.

 

Rolle der Diagnose in der Beziehung

  • Eine Diagnose kann Verständnis erleichtern, aber auch als Etikett missbraucht werden („Du bist halt schizoide – du kannst das nicht anders!“).

  • Wichtig ist eine entpathologisierende Haltung: Menschen sind mehr als ihre Diagnose. Es geht darum, funktionale Strategien zu entwickeln, anstatt Defizite zu betonen.

  • Individualität vor Diagnose: Trotz gemeinsamer Merkmale ist jede SPD-Ausprägung unterschiedlich – auch je nach Lebensgeschichte, Coping-Strategien und Bindungserfahrungen.

 

Zusätzliche Beziehungskonstellationen

KombinationPotenzialeHerausforderungen
SPD + AutismusGeteiltes Bedürfnis nach Ruhe, Struktur, wenig sozialem DruckMangel an emotionaler Abstimmung, Schwierigkeiten mit Intimität
SPD + ADHSGegenseitige Erdung vs. Aktivierung, interessante GegensätzeÜberforderung durch Aktivitätsdrang, Frustration wegen fehlender Spontaneität
SPD + Histrionische PSGegensätze, die Anziehung erzeugen können (Introversion vs. Expressivität)Sehr unterschiedliche Nähebedürfnisse, potenziell toxisch
SPD + Narzisstische PSWenig Konkurrenz um AufmerksamkeitGefahr der Dominanz durch narzisstischen Partner, emotionale Ausnutzung

 

Fazit

Partnerschaften zwischen Menschen mit schizoider Persönlichkeitsstörung und anderen psychischen Erkrankungen sind zwar herausfordernd, aber nicht unmöglich. Mit gegenseitigem Respekt, Offenheit für Unterschiede und professioneller Begleitung kann eine Beziehung entstehen, die beiden Seiten Sicherheit, Wachstum und ein individuelles Verständnis von Nähe erlaubt.


Fallbeispiel – Anna (28) und Lukas (32)

Diagnosen:

  • Anna: Emotionale instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (BPS)

  • Lukas: Schizoide Persönlichkeitsstörung (SPD)

 

🧑‍🎨 Anna:

  • Sehr beziehungsorientiert, sucht intensive Nähe und Bestätigung.

  • Neigt zu emotionalen Ausbrüchen bei Angst vor Zurückweisung oder Vernachlässigung.

  • Hat früh traumatische Bindungserfahrungen gemacht, was ihre Angst vor dem Alleinsein verstärkt.

  • Braucht emotionale Reaktionen und Rückversicherungen, um sich sicher zu fühlen.

🧑‍💻 Lukas:

  • Ruhig, zurückgezogen, lebt gerne allein.

  • Mag keine engen sozialen Verpflichtungen oder emotionale Konflikte.

  • Drückt Gefühle kaum aus, vermeidet intensive Konfrontationen.

  • Ist in seiner eigenen Welt – sehr kreativ, aber kontaktarm.

 

🧡 Beziehungsbeginn:

  • Kennengelernt über ein Kunstforum – Anna fasziniert Lukas’ stille Ausdruckskraft, Lukas fühlt sich von Annas Offenheit gleichzeitig irritiert, aber auch inspiriert.

  • Die ersten Treffen sind distanziert, aber Anna interpretiert seine Zurückhaltung als „mysteriös“ und „besonders“.

  • Lukas schätzt, dass Anna kommunikativ ist und ihm die Gesprächsführung abnimmt – das nimmt ihm sozialen Druck.

 

Beziehungsdynamik nach einigen Monaten:

  • Anna fühlt sich zunehmend abgelehnt, weil Lukas kaum Zuneigung zeigt („Er liebt mich nicht – er ist so kalt“).

  • Lukas ist überfordert von Annas Nähewünschen und impulsivem Verhalten („Ich brauche Raum – sonst schalte ich innerlich ab“).

  • Es kommt zu Streit, wenn Lukas sich zurückzieht und Anna das als Strafe erlebt.

 

🧠 Therapeutische Wendung:

  • Auf Anraten von Annas Therapeutin beginnen sie eine gemeinsame Paartherapie.

  • Dort lernen sie, ihre Kommunikationsmuster zu verstehen:

    • Lukas beginnt, Annas Nähebedürfnisse nicht als Bedrohung, sondern als Ausdruck von Verletzlichkeit zu sehen.

    • Anna lernt, Rückzug nicht sofort als Ablehnung zu interpretieren.

  • Sie einigen sich auf eine Balance zwischen Nähe und Autonomie: z. B. feste „Zweisamkeitszeiten“ mit klarer Dauer und respektierte „Rückzugszeiten“.

 

🌱 Aktueller Stand:

  • Die Beziehung funktioniert inzwischen auf eine eher „funktionale“ Weise: wenig romantisch im klassischen Sinn, aber stabil.

  • Anna hat zusätzlich ein stabiles soziales Netzwerk aufgebaut, das ihr emotionale Unterstützung bietet.

  • Lukas kann sich auf seine kreative Arbeit konzentrieren, ohne sich permanent bedrängt zu fühlen.

  • Beide sehen die Beziehung nicht als „klassisch“, aber als bewusst gewählte Partnerschaft, in der beide wachsen.

Zum Vorlesen bitte unten klicken: